Ein Streit und sein Thema – Eine Entscheidung fürs Leben?

Das Thema
Wir alle treffen Entscheidungen. Oft auch solche, die unser Leben langfristig beeinflussen. Viele dieser Entscheidungen lassen sich nicht mehr oder nur schwer zurücknehmen, denn sie führen zu Tatsachen. Die Geburt eines Kindes ist so eine Entscheidung oder die Trennung von einem Partner, der sich darauf einen anderen Partner sucht.
Was aber kann passieren, wenn wir gemeinsam mit unserem Partner eine Entscheidung treffen, die sich nach mehreren Jahren wieder ändern ließe. Doch unser Partner ist dazu nicht bereit und argumentiert:
„Ich konnte es nicht mehr hören, dass er immer wieder sagte: ‚Es war genauso deine Entscheidung, nun stehe auch dazu.’ Meine Interessen schienen ihn überhaupt nicht zu interessieren.”
Der Streit
Als Vera ihrem Partner wieder einmal sagt, dass ihr alles zu viel wird und sie sich mehr Unterstützung wünscht, macht dieser sich über sie lustig: „Wie soll das denn erst werden, wenn wir unser zweites Kind bekommen, wenn du jetzt schon schlapp machst?”
Die Situation
Vera und Ilja leben mit ihrem Sohn Till in einem Haus am Rand einer Kleinstadt. Ilja pendelt für seinen Job als Abteilungsleiter jeden Tag in die eine Stunde entfernte Großstadt. Er verlässt das Haus um sieben und ist abends nicht vor sechs Uhr zurück, oft wird es später. Vera arbeitet in Teilzeit, kümmert sich um den Haushalt und die Erziehung von Till.
Das denkt VEra
Wir leben seit vier Jahren in unserem Haus. Till wurde zwei Wochen nach dem Einzug geboren. Alles war sehr stressig. Ich war von Anfang an gegen den Hausbau, doch für Till war es sein größter Traum. „Mit meinem Gehalt und der Karriere, die ich mache, schaffen wir das in 20 Jahren“, ich höre das noch heute. Und ich mache mir Vorwürfe, dass ich mich nicht zur Wehr gesetzt habe. Damals dachte ich, es wird schon alles gut und wenn nicht, dann finden wir gemeinsam eine Lösung. Aber nun fühle ich mich immer mehr der Situation ausgeliefert und allein. Ilja arbeitet von Montag bis Freitag in seinem Job und ich bin mit Till zuhause. Das Wochenende teilt sich Ilja so ein, wie es ihm gefällt. Wenn ich eigene Wünsche äußere, dann bekomme ich von ihm zu hören: „Du hast ja die ganze Woche Zeit für dich.” Das macht mich richtig wütend, denn er liebt seinen Job und macht nur die Dinge, auf die er Lust hat. Er verdient viel mehr als ich, also entscheidet er auch. Ich fühle mich wie gefesselt an dieses Haus und diese Kleinstadt, in der ich mir auch nach vier Jahren noch fremd vorkomme.
„Du wolltest es doch auch. Wir haben es damals gemeinsam so besprochen.”
– ILja –
Das denkt Ilja
Ich war schon immer sehr ehrgeizig, wusste genau was ich wollte. Das volle Programm: Tolle Frau, Kinder, Haus und ein schönes Auto. Und jetzt, mit 35 hab’ ich das alles schon erreicht. Die Jungs im Büro sind ganz schön neidisch und bald bekommt Till noch ein kleines Geschwisterchen. Dann kann Vera ganz zuhause bleiben. Sie ist etwas launisch im Moment, dabei hat sie die ganze Woche über Zeit für sich und kann das Haus genießen und Till beim Großwerden zusehen. Ich denke, dass sie ihren Job nicht mag. Wenn bald vielleicht noch eine Tochter kommt, braucht sie nicht mehr zu arbeiten. Dann sind wir die glückliche Familie, die wir immer sein wollten.
„Ich wollte nie dieses Leben und bloß, weil ich mich im entscheidenden Moment nicht gewehrt habe, soll ich jetzt so leben, wie mein Partner sich das vorstellt?”
– Vera –
Die Analyse
Ilja und Vera haben nicht nur eine vollkommen andere Wahrnehmung, sondern ganz offensichtlich auch ganz unterschiedliche Vorstellungen von einem glücklichen Leben. Vermutlich hat Vera in der Beziehung schnell ihre eigenen Interessen vernachlässigt, weil Ilja sehr überzeugend seine Ziele durchgesetzt hat. Davon werden beide nun eingeholt.
Die Fragen
- Geht es um mehr als eine Entscheidung, die in der Vergangenheit getroffen wurde?
- Wie kann Vera möglichst schnell entlastet werden?
- Haben beide überhaupt noch eine gemeinsame Zukunft?
Die Lösung
Das Dilemma ist, dass Ilja vermutlich nicht auf Vera zugehen wird, aber Vera nicht glücklich werden kann, wenn sie ihr Leben weiterhin so lebt. Da die Standpunkte so verhärtet sind, könnte ein Gespräch im Rahmen einer Mediation ein Anfang sein.
Ilja ist mit der aktuellen Situation zufrieden und kann oder will Veras Lage nicht nachempfinden. In einem Gespräch sollte es darum gehen, ihm deutlich zu machen, dass seine Welt so nicht weiter existieren wird, wenn er sich nicht auch auf sie und ihre Bedürfnisse zubewegt. Vera sollte auf jeden Fall lernen, wieder mehr an sich und die eigenen Bedürfnisse zu denken. Schließlich besteht die Gefahr, dass sie aus schlechtem Gewissen auch weiterhin ihre Interessen hinten anstellt.
Die Prognose
Dass Ilja Vera mit der – schon damals nicht ganz freiwilligen – Entscheidung, gemeinsam in ein Haus in eine Kleinstadt zu ziehen, auch heute noch in die Pflicht nimmt, zeigt, dass er sie nicht als gleichberechtigte Partnerin sieht. Genau das steht Vera aber zu. Es wird auf jeden Fall ein langer, anstrengender Weg und es ist möglich, dass es keinen Kompromiss geben wird, mit dem beide Seiten zufrieden sind.